Aktuelle Rechtsprechung zur Arzthaftung

Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht vor einer Kataraktoperation

1. Aufklärungsbedürftig sind nur sogenannte echte Behandlungsalternativen. Diese setzen voraus, dass für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.

2. Vor einer Kataraktoperation muss der behandelnde Augenarzt mit dem Patienten keine einzelnen Behandlungstechniken oder für die Chancen und Risiken des Eingriffs unerhebliche Materialvarianten (verschiedene Linsenarten) besprechen.

3. Kommt es nach einer solchen Kataraktoperation zu einer für den Patienten nunmehr erkennbaren Glaskörpertrübung, so handelt es sich dabei nicht um eine mögliche postoperative Problematik, die aufklärungsbedürftig ist, da sie nach dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung selten auftritt und selbst dann subjektiv von den Patienten in der Regel nicht als störend wahrgenommen wird.

       OLG München 1. Zivilsenat,20.04.2012 

Pflichtverletzung von Heimbetreiberin und Pflegekraft bei Sturz in Pflegeheim

1. Stürzt ein Heimbewohner bei einer Pflegemaßnahme (hier: begleiteter Toilettengang) und ist der Unfallhergang nicht aufklärbar, kommen dem Geschädigten hinsichtlich einer Verletzung von Obhuts- und Verkehrssicherungspflichten Beweiserleichterungen zugute, wenn er sich in einer konkreten Gefahrensituation befunden hat.

2. Eine konkrete Gefahrensituation liegt vor, wenn die nach der Pflegedokumentation des Heimbetreibers erforderlichen Schutzmaßnahmen vor Stürzen (hier: „fester Halt“) nicht beachtet worden sind. Der Umstand allein, dass der Heimbewohner in der Vergangenheit bei in ähnlicher Weise durchgeführten Toilettengängen nicht gestürzt ist, schließt die Annahme einer konkreten Gefahrensituation nicht aus.

      Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 17. Zivilsenat, 13.04.2012

1. Zur Aufklärung gehört neben der Erläuterung der konkreten Behandlung (Behandlungsaufklärung) stets auch die über die Tragweite des Eingriffs, also die mit der Behandlung möglicherweise einhergehenden Schädigungsrisiken (Risikoaufklärung). Daneben muss der Arzt den Patienten (auch) über echte Behandlungsalternativen, also ggf. risikoärmere Behandlungsalternativen aufklären. Es genügt, dem Patienten (als medizinischen Laien) eine allgemeine Vorstellung von der in Betracht kommenden Behandlung, den Belastungen und den Risiken zu vermitteln, denen er sich bei der Behandlung aussetzt; Aufklärung soll also nicht medizinisches Detailwissen vermitteln, sondern eine ergebnisbezogene zutreffende Entscheidungsgrundlage für die Selbstbestimmung des Patienten sein, ob und wie er sich behandeln lässt.

2. Über eine andere – gleichwertige – Operationsmethode muss der Arzt dagegen nicht unaufgefordert aufklären, solange er eine Behandlung (Therapie) anwendet, die dem medizinischen Standard – zum Zeitpunkt der Behandlung – genügt. Denn die Wahl der Behandlungsmethode ist grundsätzlich Sache des Arztes. In der Wahl der Therapiemethode ist dem Arzt ein weites Ermessen eingeräumt; unter verschiedenen bewährten Therapiemethoden ist die getroffene Methodenwahl vom Vorwurf des Behandlungsfehlers frei bis zur Grenze der medizinischen Kontraindikation aus den Gegebenheiten der konkreten Behandlungssituation.

3. Einen (groben) Befunderhebungsfehler – verbunden mit einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten in Bezug auf die haftungsbegründende Kausalität – stellt das Unterlassen einer (hier neurologischen) Abschlussuntersuchung dann nicht dar, wenn ein medizinisch reaktionspflichtiges Ergebnis (hier die Notwendigkeit zur sofortigen Revisionsoperation) nicht zu erwarten war.

       Oberlandesgericht Jena: Urteil vom 06.03.2012 

Ist dem behandelnden Arzt ein Risiko im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft, aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert wird, entfällt die Haftung des Arztes mangels schuldhafter Pflichtverletzung.

       Bundesgerichtshof Karlsruhe: Urteil vom 19. 10. 2010 

      Für weitere Informationen zu diesem Fachgebiet wenden Sie sich bitte an:Rechtsanwalt Stephan Kersten