tztzAm 02.03.2022 hat das Landgericht Kassel entschieden, dass Krankenversicherungsunternehmen ein Recht darauf haben die Behandlungsunterlagen ihrer verstorbenen Versicherungsnehmer, auch ohne eine Schweigepflichtentbindung der Erben, einzusehen. Es kommt auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an.

Was war passiert?

Die Klägerin begehrte unter anderem die Herausgabe von Behandlungsunterlagen einer verstorbenen Versicherungsunternehmerin. Die Klägerin ist ein Krankenversicherungsträger und die Beklagte ist Betreiberin medizinischer Einrichtungen.

Nun vermutete die Klägerin, dass in einer Klinik der Beklagten die verstorbene Versicherungsnehmerin fehlerhaft behandelt wurde. Hierfür wollte sie die Behandlungsunterlagen begutachten lassen. Die Beklagte verweigerte die Herausgabe, da sie der Ansicht war, dass die Klägerin eine Schweigepflichtenentbindung der Erben beizubringen habe.

Die Versicherung forderte sie ebenfalls außergerichtlich auf, die Unterlagen einer anderen verstorbenen Versicherungsnehmerin herauszugeben. Die Beklagte übersandete die Unterlagen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an die Klägerin. Als die Beklagte sich weigerte die außergerichtlichen Kosten zu begleichen klagte die Klägerin vor dem Landgericht Kassel.
Die Klägerin war der Ansicht, dass sie einen Anspruch auf Herausgabe der für die Begutachtung bzw. Prüfung eines etwaigen Regressanspruchs notwendigen Unterlagen. Zwar sind Krankenkassen als Versicherungsträger nicht unmittelbar am Behandlungsgeschehen beteiligt, jedoch geht der Schadenersatzanspruch aufgrund von Behandlungsfehler gesetzlich nach § 116 Abs. 1 S. 1 SBG X auf die Krankenkasse über.

In der Akte waren zwei Komplikationen zu erkennen. Jene seien Indizien für das Vorliegen von Behandlungsfehlern. Ob es sich tatsächlich um solche handelt könne nur mit den Behandlungsunterlagen nachvollzogen werden – so die Krankenversicherung.

Die Rechtsprechung hat hierzu in der Vergangenheit den Sozialversicherungsträgern einen Herausgabe- und Einsichtsanspruch zugesprochen. Bei einem vermuteten Schadensersatzanspruch gehe der Herausgabeanspruch der Behandlungsunterlagen von dem geschädigten Versicherungsnehmer auf den Versicherungsunternehmer über. Auch ohne Schweigepflichtenentbindung sei von der mutmaßlichen Einwilligung der Verstorbenen auszugehen.

Nun war Beklagte der Ansicht, dass der Klägerin kein Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen zustehe. Ein solcher Anspruch könne auch nicht hergeleitet werden. Weder im Sozialrecht noch nach der Kodifizierung des Patientenrechtegesetz, sei eine Anspruchsgrundlage der Klägerin vorhanden. In § 630 g Abs. 3 BGB sei ausdrücklich geregelt, dass Ansprüche den Erben zustehen. Das Recht auf Einsichtnahme sei ausdrücklich geregelt worden. Von einer planwidrigen Regelungslücke sei daher nicht auszugehen. Aus berufsrechtlichen Gründen sowie auch aus strafrechtlichen Gründen, bestehe eine Verschwiegenheitsverpflichtung, daher könne ohne Entbindung von der Verschwiegenheit keine Herausgabe verlangt werden.

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel

Das Landgericht Kassel hat der Klage vollumfänglich stattgegeben.

Nach Ansicht des Gerichts stehe der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen gemäß § 116 Absa 1 S. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB zu. Der Anspruch der verstorbenen Versicherungsnehmerinnen auf Einsichtnahme in die vollständige Patientenunterlagen gemäß § 630 g Absatz 1 BGB sei gemäß § 116 Abs. 1 S.1 SGB X in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB auf die Klägerin übergegangen.

Besteht ein Schadensersatzanspruch?

Versicherte haben gegenüber den Behandelnden ein Schadenersatzanspruch aufgrund einer fehlerhaften Behandlung. Dieser Anspruch geht nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X auf den Versicherungsunternehmer über. Entsprechend solle auf die Klägerin auch ein Anspruch auf Einsicht übergehen.

Es hänge jedoch vom mutmaßlichen Willen des Verstorbenen ab, ob und inwieweit die Schweigepflicht weiter gelte. Der mutmaßliche Wille der Erben sei vorrangig.
Dem stehe auch § 630 Abs. 3 BGB nicht entgegen. Nach diesem geht beim Todesfall des Patienten das Recht der Einsichtnahme auf den Erben und den nächsten Angehörigen über. Danach stehen im Falle des Todes des Patienten die Einsichtnahme Rechte den Erben und den nächsten Angehörigen zu.

Alles entscheidend: § 630 g Abs. 3 BGB!

Das Patientenrechtegesetz regelt die Rechtstellung zwischen Patienten und Behandler. Der § 630 g Abs. 3 BGB regelt die hingegen die Rechtstellung der Erben und nahen Angehörigen gegen den Behandler. Das Landgericht geht aufgrund dieser Regelungen nicht davon aus, dass der Gesetzgeber ein Recht auf Einsichtnahme abschließend geregelt habe. Insbesondere meint das Landgericht, dass aus den neuen Regelungen nicht hergeleitet werden könne, dass die Rechtslage der Krankenkassen im Vergleich zu vor der Gesetzesänderung eingeschränkt werden sollte.

Weder der Wortlaut, noch der Sinn und Zweck der Vorschriften weisen darauf hin, dass der Gesetzgeber dies gewollt habe. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit dem § 630 g Abs. 3 S. 2 BGB bestätigt, dass es auf den mutmaßlichen Willen des verstorbenen Patienten ankommen würde.  Dieser mutmaßliche Wille liege im vorliegenden Fall auch vor. Nach der Rechtsprechung des BGH sei ein Patient grundsätzlich an der Ermittlung von Behandlungsfehlern interessiert. Die Beklagte trägt dabei die Darlegungslast dafür, ob ein entgegenstehender Wille des verstorbenen Patienten vorliegt. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht.

Fazit

Auch mit dem neuen Patientengesetz ist der mutmaßliche Wille des Verstorbenen entscheidend für das Recht auf Einsichtnahme der Krankenkasse.


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