Ein Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsverhältnis, der gegenüber einer Kollegin erwiesenermaßen sexuell übergriffig wird, kann von seinem Arbeitgeber aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Köln am 19.06.2020 unter dem Aktenzeichen 4 Sa 644/19.

Was war passiert?

Der betroffene Arbeitnehmer arbeitete in einem holzverarbeitenden Unternehmen als Maschinenführer und hatte bis zur fristlosen Kündigung durch die Arbeitgeberin keine Abmahnungen erhalten. Die geschädigte Arbeitnehmerin arbeitet im selben Unternehmen in der Produktion.

Der zur fristlosen Kündigung führende Vorfall, den die geschädigte Kollegin erst später einer anderen Kollegin und sodann der Arbeitgeberin anvertraute, ereignete sich während einer Spätschicht. Hierbei soll die Geschädigte, die sich schon seit längerem von dem Kollegen bedrängt fühlte, diesen aufgrund seiner in der Situation niedergeschlagenen Stimmung umarmt haben. Dabei soll dieser die Situation ausgenutzt haben und sie mit der Hand an ihrem Po und ihren Schritt gefasst haben. Anschließend habe er sich selbst in den Schritt gefasst mit den Worten „Oh, da tut sich ja direkt was!“.

Nach Kenntniserlangung informierte die Arbeitgeberin den bei ihr gebildeten Betriebsrat schriftlich und mündlich bezüglich der beabsichtigten Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers. Der Betriebsrat stimmte seinerseits der Kündigung zu. Er führte zudem aus, dass sich im Rahmen der Anhörungen zeigte, dass auch andere Frauen Belästigungen durch den Arbeitnehmer bestätigten. Im Anschluss an die Zustimmung durch den Betriebsrat wurden dem Arbeitnehmer die Kündigung persönlich übergeben.

Gegen die Kündigung ging der Gekündigte im Wege einer Kündigungsschutzklage vor. Diese wurde erstinstanzlich (Arbeitsgericht Köln, Az. 3 Ca 722/19) abgewiesen.

Hiergegen legte der gekündigte Arbeitnehmer Berufung zum Landesarbeitsgericht Köln ein. Er begründete diese weiterhin mit dem Bestreiten der ihm zu Last gelegten Vorwürfe.

Entscheidung der Berufungsinstanz

Die Berufungsinstanz sah die Berufung des Klägers als unbegründet an, da die Vorinstanz rechtmäßig festgestellt habe, dass das Arbeitsverhältnis durch außerordentliche und fristlose Kündigung unmittelbar aufgelöst wurde.

Insbesondere sah das Gericht den von § 626 Abs. 1 BGB geforderten wichtigen Grund gegeben, der bei einer Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erforderlich ist. Ein solcher Grund ist dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Die von der Rechtsprechung hierzu entwickelte 2-Stufen-Prüfung zum Vorliegen eines wichtigen Grundes kam nach Ansicht des Gerichtes zu dem Ergebnis, dass hier ein solcher gegeben sei. Auf erster Stufe sah es das Gericht als erwiesen an, dass der gegebene Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Des Weiteren war das Gericht davon überzeugt, dass auf zweiter Stufe die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar war.

Als erhebliche Pflichtverletzung und damit als wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sah das Gericht die nach seiner Ansicht nachgewiesene sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG an. Dem gegenüber stehe zudem die Pflicht der Arbeitgeberin, die in ihrem Betrieb eingesetzten Arbeitnehmer nach § 12 Abs. 3 AGG vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Auch einmalige sexuelle Belästigungen können nach ständiger BAG-Rechtsprechung den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen.

Die Handlung des gekündigten Arbeitnehmers verletzte nach Ansicht des Gerichtes das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung aus § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG als Konkretisierung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG.

Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung

Das Gericht sah die außerordentliche Kündigung als wirksam an. Insbesondere aufgrund der festgestellten arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung, mit der der Kläger sogar den Straftatbestand des § 184i StGB verwirklicht habe, habe die Verletzung seiner arbeitsrechtlichen Pflichten ein solches Gewicht, dass die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen sei. Dies sei auch für den Arbeitnehmer erkennbar gewesen.

Bei der Frage der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kommt es maßgeblich auf das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, den Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, auf eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses und einen störungsfreien Verlauf an. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur dann in Betracht, wenn es keinen angemessenen und verhältnismäßigen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber alle milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

Daran gemessen sei der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zuzumuten gewesen. Zum einen sei die Kündigungsfrist von sechs Monaten aufgrund der langen Beschäftigungsdauer des Klägers sehr lange gewesen. Zum anderen treffe die Arbeitgeberin die Pflicht, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen wirksam zu schützen. Die fehlende Reue und das durchgehende Bestreiten des Tatvorwurfs seitens des Klägers ließen die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung nicht geringer erscheinen. Auch die sonstige positive Einschätzung zur Persönlichkeit des Klägers seitens der Kollegen sowie die lange Betriebszugehörigkeit ließen keine andere Bewertung zu. Der Kläger habe zur Verhinderung möglicher Wiederholungen und zum effektiven Schutz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin fristlos gekündigt werden. Auch der Einwand des Klägers, er würde durch die Kündigung in Armut „stürzen“ lässt die Verhältnismäßigkeit der fristlosen Kündigung nicht entfallen, da er seinerseits einen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe.

Fazit

Die Entscheidung zeigt auf, dass die Rechtsprechung den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei gewichtigen Pflichtverstößen durch Kollegen, die die Verletzung ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Folge haben, sehr ernst nimmt. Die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB ist somit auch bei deutlichen Grenzüberschreitungen von Arbeitnehmern mit langjähriger Betriebszugehörigkeit und bis dato tadellosem Führungsverhalten möglich. Die Einordnung als wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB schützt zudem auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei einer angemessenen und schützenden Reaktion auf solche Pflichtverstöße zu Gunsten des Mitarbeiterschutzes, aber auch zur Aufrechterhaltung eines reibungslosen Betriebsablaufs.

Rechtsreferendar Felix Gengnagel und Rechtsanwalt Stephan Kersten | Fachanwalt für Arbeitsrecht


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